Ganz Deutschland sitzt regelmäßig im Wartezimmer. Rund 17 Mal im Jahr geht der Durchschnittsbürger hierzulande zum Arzt. Bei den Operationen ist Deutschland gar Vizeweltmeister.
Das Vergütungssystem belohnt Leistung – wer mehr operiert, der verdient auch mehr. Aber führt das etwa zu medizinisch unnötigen aber ökonomisch gewollten Operationen an ahnungslosen Patienten?
Bei Sandra Maischberger erzählen Patienten am Dienstagabend von ihren persönlichen Erlebnissen zum Thema: „Der ausgelieferte Patient: Wie finde ich den richtigen Arzt?“
Die Talkrunde
Die Tagesschaumoderatorin und Ärztin, Dr. Susanne Holst, der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach (CDU), der Facharzt für innere Medizin, Dr. Arno Theilmeier, der Wissenschaftsjournalist und Buchautor („Die weiße Mafia“), Frank Wittig, die Rechtsanwältin, Sabrina Diehl sowie die von Ärztepfusch betroffenen Andrea Dittrich und Petra Rädlinger.
Der Ärzte-Talk
Mit der Reform des Gesundheitswesens innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich vor allem eines geändert: Gab es zuvor von den Krankenkassen Geld für Liegezeiten, wird jetzt ausschließlich nach erbrachter Leistung abgerechnet.
In Deutschland gebe es deshalb eine massive Überbehandlung von Patienten, sagt Wissenschaftsjournalist Frank Wittig. „Es gibt zu viele Krankenhausbetten, die belegt werden müssen.“
Er redet von „mafiösen Verhältnissen“ und einem Rekord an Überweisungen an weitere Fachärzte (sechs von zehn Patienten), der dazu führe, dass „auf jeden Fall irgendetwas gefunden wird“.
Tapferer Bosbach, verzweifelte Horst
Die Erfahrungen der Gäste von Sandra Maischberger zu dem Thema könnten unterschiedlicher nicht sein.
CDU-Bundestagsmitglied Wolfgang Bosbach sagt „ich würde es Ärzten niemals vorwerfen, dass sie unterschiedliche Therapiewege vorschlagen. Am Ende entscheide ich selbst.“ Erst vor wenigen Wochen war der Politiker auf einem CDU-Parteitag in Münster umgekippt, weil sein Herzschrittmacher fälschlicherweise ansprang. Und er hat Prostatakrebs – „ohne Chance auf Heilung“.
Doch bei bei ARD-Talkmasterin Maischberger sitzt Bosbach urlaubsgebräunt und gutgelaunt: „Ich habe ein tolles Leben und tolle Kinder, warum soll ich jammern?“
Weniger positiv sind die Erfahrungen von Ärztin und Tagesschaumoderatorin Susanne Holst mit ihrem Berufsstand. Wahrscheinlich war es eine verschleppte Borelliose, ausgelöst durch einen Zeckenbiss, die bei ihr starke rheumatische Schmerzen auslöste. Monatelang suchte sie diverse Ärzte auf, ohne eine Diagnose zu bekommen. „Ich hatte Angst, dass es für immer so bleibt, dass ich mich nicht mehr bewegen kann.“ Alternative Behandlungsmethoden ließen sie schließlich die Krankheit überwinden.
Unnötig operiert, die Gesundheit verpfuscht
Unter Maischbergers Gästen sind am Dienstagabend auch zwei Opfer von Ärztepfusch. Schockierend ist vor allem der Fall von Petra Rädlinger. Die Buchhalterin wird nach der Diagnose Bandscheibenvorfall operiert. Als sie aufwacht spürt sie ihren Fuß nicht mehr. Unglaublich: Bei einem Gutachten stellt sich heraus, dass sie gar keinen Bandscheibenvorfall hatte. Ein vom Krankenhaus engagierter Honorararzt hatte in rund hundert Fällen medizinisch sinnlose Operationen angeordnet und abkassiert. Rädlinger will klagen. Noch viel mehr wünscht sie sich aber „wieder laufen zu können“.
„Rund 12 000 Euro erhält das Krankenhaus für so eine Operation“, sagt Wissenschaftsjournalist Wittig.
Sandra Maischberger will von Facharzt Theilmeier wissen: „Würden Sie ausschließen, dass Patienten in Deutschland ohne medizinischen Grund operiert werden?“ „Ja, das schließe ich aus“, bleibt Theilmeier trotz der Patientengeschichte von Patra Rädlinger optimistisch. Denn ein Systemfehler sei ausgemerzt worden: Die Abrechnungen der Krankenhäuser müssten mittlerweile an Berichte über die medizinische Indikation gekoppelt werden.
Wie kann man sich als Patient vor Sinnlos-OPs schützen?
Theilmeier rät zu Wachsamkeit. Wenn der Arzt voreilig eine Operation anordnet, „holen Sie sich eine zweite Meinung bei einem anderen Arzt ein“. Die Krankenkassen würden das unterstützen. „Der zweite Arzt wird am Gewinn von möglichen Operationen nicht beteiligt, das hilft ihm objektiv zu bleiben“, sagt Theilmeier leicht sarkastisch. Sollte dem Patienten die Behandlung im Krankenhaus widersinnig erscheinen, rät er zum beherzten Notruf beim Hausarzt: „Rufen Sie an und bitten Ihren Hausarzt, Sie heraus zu holen.“
Klartext
Mündige Patienten müssen den Mund aufmachen. Mit der harten These des „ausgelieferten Patienten“ ging Sandra Maischberger in diese Talkrunde. Die Erfahrungen der Talkgäste zeigen: Wer gesund werden will, muss selbst aktiv werden und mehrere Meinungen einholen. Der Talk zeigt vor allem, dass ein auf Leistung ausgelegtes Gesundheitssystem zu Missbrauch und Pfusch führt.