Kläger des Berufungsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof war der Vater eines Mädchens, die im Alter von fünf bis sechs Jahren von dem Beklagten sexuell missbraucht wurde. Im Laufe der Ermittlungen und des Strafverfahrens litt der Mann unter einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung, die psychologisch behandelt werden musste und zu einer längeren Arbeitsunfähigkeit führte. Nun macht er gegenüber dem Schädiger seiner Tochter die Zahlung von Schmerzensgeld geltend.
Das Landgericht Lüneburg gab der Klage zunächst statt. Der Beklagte legte zur Klageabweisung Revision ein. Der Bundesgerichtshof nahm ebenfalls einen Schmerzensgeldanspruch an, allerdings zum Teil mit einer anderen rechtlichen Begründung:
Grundsätzlich stellen nicht nur körperlich sichtbare Verletzungen, sondern auch psychische Beeinträchtigungen ersatzfähige Gesundheitsverletzungen dar, die zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld führen könne, wenn dem Schädiger diese auch zuzurechnen sind. Das ist auch dann der Fall, wenn der Kläger, wie hier, nicht unmittelbar durch eine Verletzung des Beklagten selbst sondern mittelbar durch die Verletzung eines Dritten, wie hier durch die Schädigung der Tochter, beeinträchtigt wird. Denn auch das ist dem Verhalten des Schädigers als kausale Folge seiner Straftat zuzurechnen. Auch wenn der betroffene Angehörige selbst keine erkennbaren psychischen Beeinträchtigungen davongetragen hat, führen solche Geschehnisse bei einem Vater als naher Angehöriger, der im Normalfall eine besondere persönliche Beziehung zu seiner Tochter hat, zu einer nachvollziehbaren Schädigung seiner selbst.
Nachdem die bisherige Rechtsprechung für solche Fälle allerdings eine Störung forderte, die über das Maß hinausgeht, was betroffene Angehörige in einer vergleichbaren Situation im Normalfall erleiden, ist nunmehr ausreichend, dass eine Verletzung vorliegt, die ein medizinisch diagnostizierbares Krankheitsbild darstellt. Es muss eine konsequente Gleichstellung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen als eigene Gesundheitsverletzung des Klägers geben, so der BGH. Für die Annahme einer solchen Verletzung kann nicht relevant sein, welche Beeinträchtigungen Angehörige in vergleichbaren Fällen aufweisen. Solange eine Verletzung zu einer feststellbaren Krankheit führt, die durch die Schädigung des Gegners verursacht wurde, muss ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes bestehen.
So auch hier. Bei dem betroffenen Mann wurde mit Bekanntwerden der Straftaten zum Nachteil seiner Tochter eine Anpassungsstörung im Sinne von ICD-10 F43.2 mit einer depressiven Symptomatik diagnostiziert, die sich mit einer depressiven Symptomatik, Angst und Besorgnis, Einschränkung der Bewältigung der alltäglichen Routinen, verbunden mit einem Rückzug von Sozialkontakten entwickelt hat. Somit nahm der BGH am 06.12.2022 ebenfalls einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld an, verwies die Sache allerdings zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurück.