Patientenanwälte wie Sabrina Diehl, Fachanwältin für Medizinrecht, befassen sich fast täglich mit medizinischen Sachverständigen-Gutachten. Es gibt kaum ein Thema, das so oft Stoff für Diskussionen ist und vor allem für Unmut bei Laien sorgt. Begehren Sie als Opfer einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung Schadensersatz und Schmerzensgeld, werden Sie in der Reget ein medizinisches Sachverständigen-Gutachten benötigen. Gutachten können gerichtlich, aber auch außergerichtlich zur Klärung der Frage eingeholt werden, ob ein Behandlungsfehler vorliegt.
Knapp 14.000 Gutachten in den letzten 15 Jahren
Eine der großen Krankenkassen Deutschlands gab vor Kurzem bekannt, dass sie in den letzten 15 Jahren knapp 14.000 Gutachten in Auftrag gegeben habe. Diese Zahl wäre noch höher, wenn mehr
Menschen sich trauen würden, einen ärztlichen Behandlungsfehler zu melden. Für gewöhnlich hat auch die Krankenkasse ein großes Interesse, entstandene Kosten beim Schuldigen geltend zu machen. Krankenkassen haben hierfür eigene Abteilungen, die Behandlungsfehler überprüfen. Dies erfolgt dort jedoch nur anhand
der Akten.
Sachverständiger muss aus demselben Fachgebiet kommen
Im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung werden Patienten in der Regel von einem neutralen medizinischen Sachverständigen aus demselben Fachgebiet des beschuldigten Arztes eingehend untersucht. Die Begutachtung findet sowohl aufgrund von Akten als auch durch eine persönliche Untersuchung durch den Gutachter statt. Das Gutachten unterstützt die Entscheidungen von Richtern. Der Sachverständige wird durch das zuständige Gericht ausgewählt und beauftragt und erhält hierfür eine festgelegte Vergütung.
Skepsis gegenüber dem Sachverständigen nachvollziehbar
Häufig trauen viele geschädigte Patienten den Gutachtern nicht - in einigen Fällen zu Recht. Denn trotz offiziell geforderter Objektivität ist auch der Gutachter ein Arzt. Wer kann es dem geschädigten Patienten verübeln, dass er Angst hat, dass ein Arzt seinen Kollegen nicht belasten wird, obwohl ein Fehler vorliegt? Aus Patientensicht ist diese Skepsis leicht nachvollziehbar. Da der ärztliche Sachverständige aus demselben Fachgebiet wie der beschuldigte Arzt stammen muss, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich beide Ärzte kennen oder der Gutachter womöglich aus anderen Gründen befangen ist und das Gutachten für den geschädigten Patienten zum Negativen ausfällt.
Nähebeziehungen sind offenzulegen
Wenn ein Gutachter durch das Gericht bestimmt wird, erhalten beide Parteien, Kläger und Beklagter, vorab die Gelegenheit, Stellung dazu zu nehmen. Hier kann der Patient also mitentscheiden und das sollte er auch tun. Es ist stets ratsam, bereits im Vorfeld darauf zu achten, dass ein Sachverständiger beauftragt wird, der nicht in der Nähe des Beschuldigten tätig ist- Gutachter sind zwar angehalten, sogenannte Nähebeziehungen offenzulegen und bei Nichtbeachtung drohen ihnen rechtliche Konsequenzen, jedoch schadet es nie, frühzeitig auf Nummer sicher zu gehen. Im Falle einer Befangenheit wird ein Sachverständiger aus dem Verfahren ausgeschlossen. Legt er dies zuvor nicht offen und sind deswegen bereits Kosten für den Sachverständigen angefallen, können ihm diese sogar aberkannt werden.
Neutralität ist gefordert
Selbst wenn ein beschuldigter Arzt und ein Sachverständiger sich nicht kennen, kann es Zweifel an der Neutralität eines Gutachtens geben. Ein Sachverständiger ist zur Neutralität verpflichtet, selbst dann, wenn er in einem emotionalen Prozess von einer Partei unsachlich angegangen wird. In einer aktuellen Entscheidung hatte ein Sachverständiger sich geweigert, die von der Klägerseite gestellten Fragen zu beantworten, da der unsachliche Ton ihm nicht gefiel. Hierin sag der Kläger keine Neutralität mehr, das Gericht gab ihm Recht. Wenn auch selten, so kommt es doch vor, dass sich Sachverständige unsachlich gegenüber einer Partei verhalten. So konnten wir erfolgreich einen Sachverständigen ablehnen, weil er sich beleidigend gegenüber der Patientin verhielt. Ein
Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen ist auch dann erfolgreich, wenn er sich in Richtung des Anwaltes unsachlich verhält. Die Vorbehalte, die er gegenüber dem Anwalt hat sind grundsätzlich geeignet, auch dem Mandanten zu schaden.
Ein negatives Gutachten bedeutet nicht, den Prozess zu verlieren
Ein positives Gutachten macht sich natürlich bei den Verhandlungen immer gut. Doch auch ein für den Patienten negatives Gutachten bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Patient keine Chancen mehr hat. Gerade Gutachten, die über die Krankenkasse oder von der Gutachterkommission erstellt werden, haben keine gerichtliche Bindung. Das bedeutet, dass im Verfahren ein neues Gutachten eingeholt wird. Den noch empfiehlt sich zuvor eine Prüfung durch einen Fachanwalt für Medizinrecht.
Der Gutachter darf sich nicht zu lange Zeit lassen
Sachverständige werden aus einem Verfahren auch geschlossen, wenn sie sich für die Erstellung
Endlos zu lange Zeit lassen. Denn je länger der Gutachter sich Zeit lässt, desto länger muss der Geschädigte auf die Anerkennung seines Rechts warten. In der Regel setzt das Gericht großzügige Fristen, da eine Aufarbeitung sehr zeitintensiv ist. Sollte der Gutachter absehen können, dass er innerhalb dieser zu keinem Ergebnis kommt, sind das Gericht und die Parteien rechtzeitig zu informieren. Denn sollte der Gutachter die Frist ohne vorherige Informationen überziehen, kann das Gericht zunächst ein Ordnungsgeld verhängen und schlussendlich dem Sachverständigen auch den Auftrag entziehen. Ein Ordnungsgeld soll den Gutachter im besten Falle dazu animieren, schneller zu einem Ergebnis zu kommen, kann aber auch dazu führen, dass ein Gutachter sich provoziert fühlt und ein Gutachten negativ ausfällt. In diesen Fällen gilt für den Rechtsanwalt, sich auf diesen Umstand zu berufen und dem Gericht zu verdeutlichen, dass ein neues Gutachten zu erstellen ist. Ist der Gutachter bereits häufiger durch sein Verhalten auffällig geworden, stehen die Chancen gut, den Gutachter zu „entpflichten“.
Durchschnittliche Dauer
In der Regel dauert die Fertigstellung eines Gutachtens rund neun Monate. Besonders, wenn es sich um ein Krankheitsbild handelt, bei dem schnell eine Folgeoperation nötig ist oder sich spezielle Folgen nur eine kurze Zeit zeigen, ist eine zügige Begutachtung und Bewertung wünschenswert.
Kosten
Ein Gutachten von der Krankenkasse oder der Ärztekammer ist für den Patienten kostenlos. Ein privates Gutachten kann mehrere tausend Euro kosten, ist oft jedoch nicht notwendig. Die Kosten für das gerichtliche Gutachten werden von der Rechtsschutzversicherung (so vorhanden) übernommen. Bei Anspruch auf staatliche Hilfe zahlt der Geschädigte ebenfalls nicht selbst. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, muss der Geschädigte die fallabhängigen Kosten vorstrecken und bekommt diese bei einem erfolgreichen Verfahren gegebenenfalls seitens der Gegenseite im Rahmen des Urteils erstattet.
Einzelfallentscheidungen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dem Gutachter zur Frage des Behandlungsfehlers elementare Bedeutung zukommt und der Patientenanwalt bei der Auswahl des Sachverständigen sehr gut aufpassen muss. Wie ein Gericht einen Einzelfall bewertet, ist völlig offen. Die Beispiele belegen jedoch, dass ein Gutachter sich lange nicht so viel herausnehmen darf, wie man als Laie vielleicht glaubt und ein engagierter Fachanwalt des Medizinrechts auch gegen unsachliche Gutachter etwas auszurichten weiß.
Unsere Expertin
Sabrina Diehl, Fachanwältin für
Medizinrecht, Marl und Oberhausen www.PATIENTundANWALT.de