Quelle: "WAZ" 22.06.24 - Werner von Braunschweig
150.000 Euro nach Beinamputation
Im Streit um einen ärztlichen Kunstfehler gab es eine Einigung: Patient erhält Schmerzensgeld
Mehr als vier Jahre nach einer womöglich vermeidbaren Beinamputation erhält ein Familienvater aus Herne nachhaltige Entschädigung - die verklagte Herner Klinik hat doch noch eingelenkt. Das Bochumer Landgericht bestätigte eine Beilegung des langjährigen Rechtsstreits durch einen außergerichtlich ausgehandelten Vergleich. 150.000 Euro Schmerzensgeld plus rund 20.000 Euro Verzugszinsen, außerdem die finanzielle Absicherung für den Ersatz aller künftig noch auftretenden kausalen Schäden: Auf diese Zahlungen und Verpflichtungen haben sich der Herner und die Klinikseite nach intensiven Verhandlungen verständigt, wie die Herner Rechtsanwältin Sabrina Diehl auf WAZ-Anfrage bestätigte. Die ursprüngliche Schmerzensgeldforderung hatte sich sogar auf 300.000 Euro belaufen. Nichtsdestotrotz zeigte sich die Fachanwältin für Medizinrecht mit der nun gefundenen Kompromisslösung sehr zufrieden. Denn mit ihrer Arzthaftungsklage hatte sie keineswegs allein auf ein hohes Schmerzensgeld abgezielt. „Die Zukunftsabsicherung für alle nicht vorhersehbaren, weiteren Schäden war für uns besonders wichtig", betonte Sabrina Diehl. „Und die haben wir jetzt er-reicht. Die Absicherung ist im Vergleich festgeschrieben." Der Familienvater hatte Anfang 2020 wegen einer Krebserkrankung in der Herner Klinik eine Chemo-und Strahlentherapie durchlaufen. Kurz danach waren bei ihm Durchblutungsstörungen und Schmerzen im rechten Bein aufgetreten. Doch dem Herner kam es so vor, als nehme man ihn gar nicht ernst. Die Schmerzen und Beschwerden wurden schlimmer, ließen sich aber letztlich weder durch zwei Operationen in Herne noch nach einem Klinikwechsel in Dortmund (zwecks Einholung einer Zweitmeinung) lindern. Fatal: Erst in Dortmund waren aus Sicht eines medizinischen Sachverständigen diejenigen OP Maßnahmen am Bein des Herners ergriffen worden, die zuvor in der Herner Klinik schon dringend angebracht gewesen wären. „Aber zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu spät", hatte sich der Gutachter vor der 6. Zivilkammer am Bochumer Landgericht festgelegt. Die dramatische Folge ließ sich nicht mehr verhindern: Am 24. März 2020 musste dem Herner in einem Dortmunder Hospital das rechte Bein amputiert werden.
"Aber zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu spät." Gutachter vor der 6. Zivilkammer am Bochumer Landgericht zu der Behandlung des Patienten in Dortmund, die seiner Auffassung nach schon in Herne hätte stattfinden müssen.
Auf Beinprothese angewiesen
Dass die dafür ausschlaggebenden ärztlichen Kunstfehler zuvor in Herne passiert sind, stand für zwei Sachverständige völlig außer Frage. Sie unterstellten der Klinik, erst zu lange untätig geblieben zu sein und dann operativ „unvollständig" und „inkonsequent" gehandelt zu haben. „Das Vorgehen ist mir völlig schleierhaft", hatte ein Gutachter erklärt. Unisono hatten beide Sachverständige mit ihrer Hauptkritik aber auf einen viel frühzeitigeren, „groben Behandlungsfehler" abgestellt: die Nichtgabe von gerinnungshemmenden Medikamenten spätestens mit Beginn der Chemotherapie. Allein durch eine bloße Prophylaxe mit „ASS 100" oder Heparin wäre das Thromboserisiko bei dem Patienten „signifikant gesunken", hieß es. Die Erfolgschancen für einen Erhalt des Beines hätten jedenfalls mehr als 50 Prozent betragen. Heute ist der Herner auf eine Beinprothese angewiesen. Trotz vieler Rückschläge hat er sich zurück in einen Vollzeit-Job gekämpft. Sein Auto hat er auf seine Bedürfnisse (Gaspedal links) umbauen las-sen. „Doch all das kostet einfach unheimlich viel Geld", so Rechtsanwältin Sabrina Diehl. Durch die im Vergleich festgehaltene „Zukunftsabsicherung" sehe der Familienvater jetzt aber mehr Licht am Ende des Tunnels. Nicht zuletzt auch hinsichtlich einer bestmöglich passenden Prothese. Weder die Herner Klinik noch der Kläger hatten im Hauptverhandlungstermin vor der 6. Zivilkammer am 24. April Vergleichsbereitschaft erkennen lassen. Der verklagte Klinik-Träger und ein Versorgungszentrum hatten Klageabweisung beantragt, ein Urteilstermin war bereits festgelegt, dann aber nach dem Hinweis auf angelaufene Vergleichsverhandlungen verschoben worden. Die Gespräche, die letztlich eine Einigung hervorbrachten, fanden ausschließlich zwischen den Streitparteien statt. Das Gericht hat den schriftlich formulierten Vergleichstext per Beschluss festgestellt.