Schon viel hat die Hernerin in mehr als acht Jahrzehnten gesehen und erlebt. Was ihr dann aber im Krankenhaus zustößt, ist „die schlimmste Phase in ihrem Leben“.
Aufgrund ihrer akuten Darm-Entzündung (Divertikel) empfiehlt ihr ein Arzt, diese operativ behandeln zu lassen. Sie kommt dem Rat des Arztes nach und wird am Folgetag der OP von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt. Doch die Dame leidet unter sehr starken Nachblutungen. Untersuchungen ergeben: Eine Naht am Darm wurde nicht richtig verschlossen. Also musste sich die ältere Dame umgehend einer erneuten OP unterziehen lassen. Die Ärzte verschlossen die undichte Stelle in ihrem Bauchraum. Trotz Gabe einer Blutkonserve, eines Antibiotikums und Schmerzmitteln litt die Frau weiterhin. Ihre linke Niere schmerzte ungeheuerlich. Nach weiteren Untersuchungen verlegten die Ärzte sie in ein anderes Krankenhaus.
Noch am selben Abend wurde die Rentnerin ein weiteres Mal operiert und bekam einen Harnleiter-Stent gesetzt. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, fand sie einen künstlichen Ausgang mit Beutel vor. Bei der ursprünglichen OP wurde der Harnleiter der Frau durchtrennt! Offensichtlich fiel dies weder bei der ersten noch bei der zweiten Operation auf. Gängige Methode, um bei solchen Operationen Harnleiter zu schützen, sind, sog. Harnleiterschienen. Hiervon erfuhr die Geschädigte Patienten auch erst in Nachhinein, denn keiner der Ärzte des ersten Krankenhauses klärte sie darüber auf. Bei der OP wurde auch auf solch eine Schiene verzichtet.
Den künstlichen Urinausgang sollte die Hernerin dann vier bis sechs Monate beibehalten. Bei einer der zahlreichen Nachuntersuchungen erläuterte ihr ein Arzt, dass der Ausgang nochmals sechs Monate bleiben müsse. Ob alles wieder „an seinen Platz“ zurückkomme, könne er erst nach dieser Zeit beurteilen, so der Arzt weiter. Im schlimmsten Fall müsse die linke Niere entfernt werden.
Mehrere Monate lebte die Dame dann nicht nur in der Angst und Ungewissheit, nicht zu wissen, welche weiteren (schwerwiegenden) Folgen noch auf sie zukommen. „Auch meine Lebensqualität war gleich null. Kein Wunder, mit einem Katheder an der Niere und einem Urinbeutel an der Wade“, erinnert sich die Frau. Vor der Operation war sie drei Mal die Woche in ihrem Turnverein aktiv, engagierte sich in einer Gesangsgruppe und besuchte regelmäßig ihren Stammtisch. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters war sie stets aktiv, agil und gesellig.
Nun verbrachte sie ihre Freizeit immer öfter in der Krankenhausambulanz. Die starken Schmerzen, verursacht durch einen Nierenstau, führten dazu, dass der Katheter meist im vierzehntägigen Rhythmus anstatt alle sechs Wochen gewechselt werden mussten.
Da sie nun auch zu Hause auf Hilfe angewiesen war, bekam sie den „Pflegegrad I“ bewilligt. Nun stand noch die vierte OP bevor, eine umfangreiche Operation mit großem offenen Bauchschnitt. Der Chirurg konnte sogar den Harnleiter wieder mit der Blase verbinden, allerdings musste diese danach an Volumen einbüßen. Wieder wurde die Dame mit Nieren- und Blasenkatheter entlassen, welche dann einige Wochen später gezogen werden konnten.
Was auf den ersten Blick nach „Glück im Unglück“ klingt, hat für die Hernerin allerdings massive Folgen: Ihre Blase ist und bleibt verkleinert. Quasi unentwegt leidet sie nun an bakteriellen Entzündungen und ist in urologischer Dauerbehandlung. Wenn sie Harndrang hat, muss sie diesem sofort nachkommen, (ein)halten kann sie den Urin nicht mehr. Ihren geliebten Turnsport kann sie so nicht mehr ausüben und wird es vermutlich auch in Zukunft nicht können. Nachhaltig hat sich ihr Leben geändert und ihre Freiheit eingeschränkt. „Ich habe in dieser Phase meines Lebens so gelitten wie niemals zuvor. Nur mithilfe von Antidepressiver konnte ich die Zeit überhaupt überstehen.“
Nachtrag:
Rechtsanwältin Sabrina Diehl und ihr Team der Fachanwaltskanzlei für Medizinrecht haben einen Vergleich über ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro erzielt.